Nachruf Prof. Dr. Andrea Huwiler

: Am 18. Dezember 2023 verstarb unerwartet Professorin Andrea Huwiler. Sie leitete die Kommission Physiologie und Pharmakologie der DGfN gemeinsam mit Professor Richard Warth und erhielt u.a. 2004 den Franz Volhard-Preis der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie.

„Mir ist“, sagte sie nach einem arbeitsreichen Tag, „auf einmal sehr, sehr unwohl“, ward blass, und setzte sich nieder.

Noch kurz zuvor, im Labor, pipettierend, messend, experimentierend, war sie in beinahe euphorischer Stimmung gewesen, die sie ganz ungewohnt offen zur Schau stellte – denn sie war eigentlich eine in sich gekehrte, sich selbst gern zurücknehmende, mitunter fast scheue Person, expressive und dramatische Auftritte waren ihre Sache nicht.

„Ich glaube“, sagte sie, „ich brauche einen Arzt.“ Ein Arzt, viele Ärzte, viele sehr gute Ärzte waren rasch zur Hand, denn das Labor und das Pharmakologische Institut, dessen Direktorin sie war, liegen im Hauptgebäude des Inselspitals zu Bern – und das ist die dortige Universitätsklinik. Aber selbst die geballte operative und intensivmedizinische Macht einer Universitätsklinik, all die helfenden Hände vermochten es nicht, sie dem Tod, der seine Hand schon fest auf sie gelegt hatte, zu entwinden. Sie starb am 18. Dezember 2023, wenige Tage nachdem sie sich niedergesetzt hatte, keine 58 Jahre, nachdem sie zur Welt gekommen war. Plötzlich und unerwartet, für sie, für uns. Ein Blitz aus dem heiteren Himmel eines frühen Nachmittages, ein unerwarteter Riss in ihrem Lebensfaden, den man sich solider gesponnen und zu weniger dramatischen Rissen geneigt vorgestellt hatte.

Sie war das Kind einer norwegischen Mutter und eines schweizerischen Vaters und wurde am 22. September 1966 in Drammen in Norwegen geboren. Aufgewachsen ist sie in Norwegen und in der Schweiz. Sie hat Biochemie studiert an der ETH in Zürich und 1990 mit einem Diplom in Naturwissenschaften abgeschlossen. In der Abteilung Entzündung und Allergie der Firma Ciba-Geigy in Basel wurde sie 1993 im Fach Pharmazie an der Universität Basel, mit einer Arbeit zu den regulatorischen Funktionen von Proteinkinase C-Isoenzymen, zum Dr. phil. promoviert. Sie setzte ihre Forschungsarbeiten als Postdoktorandin im Labor von Professor Josef Pfeilschifter am Biozentrum der Universität Basel fort (1993–1996). Zwei weitere Forschungsaufenthalte führten Andrea Huwiler ins Labor von Professor Edward Dennis am „Department of Biochemistry“ der UCSD in La Jolla (1996–1997) und zu Professor Henk van den Bosch ins „Center for Biomembranes and Lipid Enzymology (CBLE)“ in Utrecht (1997–1998). 1998 übernahm Andrea ­Huwiler dann die Leitung einer unabhängigen Forschungsgruppe am Institut für Allgemeine Pharmakologie und Toxikologie der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Dort wurde sie 1999 für das Fach Biochemische Pharmakologie habilitiert und 2001 zur Hochschuldozentin (C2) berufen. 2005 wurde sie außerplanmäßige Professorin am Fachbereich Medizin der Goethe-Universität. Im Jahr 2006 folgten dann drei parallele Rufe auf Professuren an die Universitäten Dresden, Bern und Frankfurt am Main und Andrea Huwiler entschied sich, in die Schweiz zurückzukehren und wurde 2006 Extraordinaria am Pharmakologischen Institut der Universität Bern, das sie seit 2021 auch als Direktorin leitete.

Andrea Huwiler war eine begnadete Wissenschaftlerin. Mit größtem Enthusiasmus hat sie sich mit Lipiden beschäftigt, in Zeiten, da Lipide weit davon entfernt waren im Fokus der Wissenschaftsgemeinde zu stehen. Sie hat unbeirrt an der Aufklärung der Wirkmechanismen von Ceramid und Sphingosin-1-Phosphat gearbeitet und konnte miterleben, wie unter dem Schlagwort „Lipid Signalling“ dieses Arbeitsgebiet auf die Hauptbühne des Interesses von Biochemikern, Physiologen, Pharmakologen und Klinikern zurückgekehrt ist. Ihre pionierhaften Arbeiten etablierten relevante pathophysiologische Funktionen für die Sphingosinkinasen bei Nierenerkrankungen und fibrotischen Erkrankungen im Allgemeinen. Sie hat diese Befunde auch in die Entwicklung entsprechender Arzneimittelkandidaten übertragen, die z. T. schon in klinischer Prüfung sind. Ihre Arbeiten wurden durch zahlreiche Preise gewürdigt, so u. a.1994 durch den Emil-Bürgi-Preis der Universität Bern, 1997 durch den ­Novartis-Pharmakologie-Preis für Nachwuchswissenschaftler, 2004 durch den Franz Volhard-Preis der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie und 2019 durch den „British Pharmacological Society Award“. Für die DGfN hat sie, gemeinsam mit Professor Richard Warth, die Kommission Physiologie und Pharmakologie geleitet.

Andrea Huwiler war auch eine inspirierende akademische Lehrerin. Sie übte eine starke Faszination auf die Menschen ihrer Umgebung aus, die sie mit ihren wissenschaftlichen Ideen begeistern konnte. Sie besaß Fähigkeiten, hochkomplexe Zusammenhänge verständlich, nachvollziehbar und interessant darzustellen und ihre Lehrtätigkeit war hoch geschätzt. Wir behalten ­Andrea ­Huwiler als außergewöhnliche Wissenschaftlerin, Pharmakologin, Weggefährtin, Lehrerin, Mentorin, Vorbild und Freundin in Erinnerung. Wir sind dankbar für das, was sie uns mit auf unseren Weg gegeben hat, für ihre Inspirationen wie für ihre konstruktive Kritik.

Andrea Huwiler bearbeitete Projekte, die sie stets zu Ende brachte. Sie war keine Freundin halber Sachen. Ob sie auch ihr Leben insgesamt als so ein „Projekt“ betrachtete, dem der Tod – der auch keine halben Sachen macht – nun ein Ende gesetzt hat, das wissen wir nicht. Wir jedenfalls stehen bewundernd vor ihrem Lebenswerk. Wir werden noch lange an sie denken und trauern zusammen mit ihren Hinterbliebenen um sie.

Begraben wird man sie dort, wo sie geboren wurde, in Drammen. Das ist eine Stadt im Süden Norwegens und sie liegt, wie es sich für Norwegen gehört, am Ende eines Fjords. Der Drammensfjord ist aber kein wilder, von pathetischen steilen Klippen und dramatischen Bergen voller tückischer Trolle gerahmter Küsteneinriss – es sind von weiten Flüssen durchzogene Hügellandschaften voller Flüsse, Wälder und Felder und Wiesen, die den Fjord umgeben. Ganz unaufgeregt, eine in sich gekehrte, unaufdringliche Landschaft, die man zu schätzen und zu lieben lernt, wenn man sich auf sie einlässt. Das passt, denn mit ihr ging es uns nicht anders.

Josef Pfeilschifter und
Liliana Schäfer,
Frankfurt am Main

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