10 Jahre STOP-IgAN-Studie – Ergebnisse der Langzeitbeobachtung

Bei der IgA-Nephropathie (IgAN), einer Immunkrankheit der Nieren, die vorwiegend bei jüngeren Erwachsenen auftritt und bei jedem fünften Patienten zur Dialysepflicht führt, brachte eine über drei Jahre additiv zur optimalen Supportivtherapie (z. B. strenge Blutdruckkontrolle) durchgeführte Immunsuppression keinen zusätzlichen Nutzen – auch nicht in der Langzeitbetrachtung. Dieses Jahr wurden die 10-Jahres-Nachbeobachtungsdaten (von 92 % aller Studienpatienten) der STOP-IgAN-Studie veröffentlicht [1]. Es zeigte sich keinerlei Benefit der Immunsuppression auf den Langzeitverlauf der Erkrankung, lediglich die Nebenwirkungsrate stieg an.

Eine Glomerulonephritis (GN) ist eine immunologisch bedingte Nierenentzündung, die vorwiegend die kleinsten Filtereinheiten der Niere, die Nierenkörperchen (Glomeruli), betrifft. In Europa sind Glomerulonephritiden die dritthäufigste Ursache eines terminalen Nierenversagens bzw. einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz (nach der diabetischen und hypertensiven Nephropathie). Die häufigste Glomerulonephritis ist die sogenannte IgA-Nephropathie (IgAN); sie macht in Europa ca. 30 % der Gesamtzahl der Glomerulonephritiden aus. Bei jüngeren Erwachsenen (vor dem 50. Lebensjahr), die eine Nierentransplantation erhalten, ist die häufigste Grunderkrankung eine IgAN. Ca. 20 % der IgAN-Patienten werden innerhalb von 10 bis 20 Jahren dialysepflichtig; Männer sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Frauen; Risikofaktoren für eine schnelle Krankheitsprogredienz sind außerdem Bluthochdruck (Hypertonie), hohe Eiweißausscheidung im Urin (Proteinurie) und Rauchen. Da die Erkrankung schmerzlos und lange Zeit symptomfrei ist, wird sie in vielen Fällen nur zufällig oder erst in einem fortgeschrittenen Stadium entdeckt.

Bei der IgAN werden aus unbekannten Gründen Immunkomplexe, die Immunglobulin A (IgA) enthalten, in den Glomeruli abgelagert, wodurch es zu einer komplexen Entzündungsreaktion kommt. Aufgrund der immunologischen Pathomechanismen erfolgt seit über 50 Jahren die GN-Therapie mit entzündungshemmenden, immunsuppressiven Medikamenten (z. B. Kortikosteroide, aber auch mit anderen Immunsuppressiva und Zytostatika). Wie bei jeder schweren und/oder chronischen, langsam verlaufenden Nierenerkrankung ist eine gute unterstützende Behandlung aller Begleitumstände (sog. supportive Therapie) essenziell. Dazu gehören eine konsequente Blutdrucksenkung und Proteinuriebehandlung mit RAS (Renin-Angiotensin)-Blockade (d. h. Angiotensin Converting Enzyme (ACE)-Inhibitoren oder Angiotensinrezeptor-Antagonisten), aber auch diätetische und andere Lifestyle-Maßnahmen.

Einzelne kleinere Studien hatten jedoch in der Vergangenheit Hinweise darauf gegeben, dass durch die antihypertensive und antiproteinurische Therapie ein ähnliches Resultat wie mit der immunsuppressiven Therapie erzielt werden könne. Um das prospektiv zu überprüfen, wurde 2008 unter der Leitung von Professor Dr. med. Jürgen Floege, Aachen, die STOP-IgAN-Studie begonnen („investor initiated“, also Forscher-initiiert und BMBF-gefördert und somit industrieunabhängig). Ca. 30 deutsche und weitere europäische Studienzentren waren beteiligt.

Die IgAN-Patienten wurden zu gleichen Teilen in zwei Therapiearme randomisiert; sie erhielten drei Jahre lang entweder nur eine konsequente Supportivtherapie oder zusätzlich dazu eine immunsuppressive Behandlung. Die 2015 im New England Journal of Medicine publizierten Ergebnisse zeigten [2], dass die zusätzliche Immunsuppression die Nierenfunktion nicht besser stabilisierte als eine optimale Supportivbehandlung. Allerdings kam es unter Immunsuppression zu deutlich mehr, teils schweren Nebenwirkungen (Infektionen, Störungen des Glukosestoffwechsels, Gewichtszunahme).

Da bei der überwiegenden Mehrheit der IgAN-Patienten der Nierenfunktionsverlust schleichend über einen langen Zeitraum fortschreitet, wurde an die Studie eine Langzeitnachbeobachtung angeschlossen. Über zehn Jahre nach Beginn der STOP-IgAN-Studie wurde das langfristige renale Outcome der Studienkohorte evaluiert (Serumkreatinin, Proteinurie, terminales Nierenversagen/ESKD, Tod) und die Ergebnisse in Kidney International publiziert [1]. Als primäres Outcome wurde ein sogenannter harter Endpunkt gewählt, der auch bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA sowie der FDA (U. S. Food and Drug Administration) in Zulassungsstudien üblich ist: die Kombination der Ereignisse „ESKD oder Verlust der renalen Filterfunktion (glomerulären Filtrationsrate/GFR) von mindestens 40 % gegenüber dem Anfangswert oder Tod“. Telefonisch bzw. per Mail wurden die teilnehmenden Zentren kontaktiert und alle bis 31. März 2018 verfügbaren Daten in die aktuelle Untersuchung einbezogen.

Von 92 % (149/162) der zwischen 2008 und 2011 randomisierten IgAN-Patienten waren Follow-up-Daten verfügbar. Die Nachbeobachtungszeit betrug in beiden Gruppen median 7,4 Jahre. Den primären Endpunkt erreichten 36/72 Patienten (50 %) der Gruppe mit alleiniger Supportivtherapie und 35/77 Patienten (46 %) der Gruppe mit zusätzlicher Immunsuppression (HR 1,20; p = 0,45 / nicht signifikant). Aus der Supportivgruppe wurden 17 Patienten dialysepflichtig (ESKD) und aus der damals immunsuppressiv behandelten Gruppe 20 Patienten (p = 0,74). Aus der Supportivgruppe verstarben zwei Patienten, nach Immunsuppression drei (p = 0,71). Darüber hinaus unterschieden sich die Studienarme auch nicht signifikant hinsichtlich der Zahl an Patienten mit einer GFR-Abnahme über 40 % vom Ausgangswert. Auch Subgruppen (stratifiziert nach den initialen Proteinurie-Werten oder der Ausgangs-GFR) profitierten nicht von der zusätzlichen Immunsuppression.

„Unabhängig davon, zu welcher Behandlungsgruppe die Patienten gehörten, hat fast die Hälfte den primären Endpunkt erreicht“, so Professor Floege, Past-President der DGfN. „Damit war die Immunsuppression in unserer Patientengruppe, die ganz klar eine Hochrisikogruppe darstellte, komplett wirkungslos und hat nur Nebenwirkungen – vor allem infektiöser Natur – verursacht. Der Einsatz von Immunsuppressiva bei der IgAN ist damit zunehmend fragwürdig und die Optimierung der Supportivtherapie ist zurzeit unsere wesentliche Behandlungsmöglichkeit.“

Derzeit werden jedoch mehrere zielgerichtete Therapieansätze getestet. „Wir erwarten mit Spannung die Ergebnisse laufender, prospektiver Medikamentenstudien, beispielsweise mit verkapseltem Budesonid, zielgerichteter Tyrosinkinase-Inhibition, Komplementinhibitoren oder neuartigen Angiotensin- und Endothelin-1-Rezeptor-Blockern. Ziel ist, eine wirksame Therapie für die IgAN mit möglichst geringen Nebenwirkungen zu finden“, so der Experte.

Literatur
[1] Rauen T, Wied S, Fitzner C et al. After ten years of follow-up, no difference between supportive care plus immunosuppression and supportive care alone in IgA nephropathy. Kidney Int 2020 May 22 https://doi.org/10.1016/j.kint.2020.04.046
[2] Rauen T, Eitner F, Fitzner C et al. Intensive Supportive Care plus Immunosuppression in IgA Nephropathy. N Engl J Med 2015; 373: 2225-36

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