Stellungnahme zur Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen bei COVID-19-Pandemie („Triage“)

: Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) e.V. und der Bundesverband Niere e.V. sprechen sich dafür aus, die Triage bei nierenkranken Menschen immer im Mehraugen-Prinzip unter Einbeziehung einer Nephrologin/eines Nephrologen und ausschließlich anhand der individuellen Anamnese und Prognose der Betroffenen vorzunehmen. Nierenkranken sollten keinesfalls per se die Zuteilung intensivmedizinischer Maßnahmen verwehrt werden.

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Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat zusammen mit anderen medizinischen Fachgesellschaften am 23. November 2021 eine Empfehlung zur Entscheidung über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie in einer Vorabfassung publiziert [1], die leicht modifiziert am 14.12.2021 als S1-Leitlinie erschienen ist [2] . Darin gibt sie klinisch-ethische Empfehlungen für Priorisierungsentscheidungen bei Ressourcenknappheit. Ein Aspekt, der öffentlich breit diskutiert wird, auch weil am 28.12.2021 ein wichtiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache gefällt wurde, ist, welchen COVID-19-Patientinnen und -Patienten bei begrenzten intensivmedizinischen Ressourcen eine intensivmedizinische Behandlung zuteilwird und welchen nicht.

Der grundsätzliche Passus der Leitlinie, dem wir uns anschließen, lautet:

Die Priorisierung von Patienten soll sich deshalb am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht orientieren, hier definiert als die Wahrscheinlichkeit, die aktuelle Erkrankungssituation zu überleben. Dabei werden – wenn nicht anders vermeidbar – diejenigen Patienten nicht intensivmedizinisch behandelt, bei denen nur eine sehr geringe Aussicht besteht, die aktuelle Erkrankungssituation zu überleben. Vorrangig werden demgegenüber diejenigen Patienten intensivmedizinisch behandelt, die durch diese Maßnahmen eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit in ihrer aktuellen Erkrankungssituation haben. Die Einschätzung der klinischen Erfolgsaussicht muss für jeden einzelnen Patienten so sorgfältig wie möglich erfolgen.

Triage-Entscheidungen sollen lt. Leitlinie „nach dem Mehraugen-Prinzip erfolgen“. Auch diesem wichtigen Hinweis stimmen DGfN und BN zu und sprechen sich dafür aus, das Mehraugen-Prinzip obligat zu verankern. Im Falle von nierenkranken Patienten sollte eine Nephrologin/ein Nephrologe in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden.

Der kritische Punkt der Leitlinie ist – und das hat letztlich auch das Urteil vom 28.12.2021 gezeigt – die pauschale Nennung von medizinischen Kriterien, die in Abhängigkeit von ihrer Ausprägung Indikatoren für eine schlechte Erfolgsaussicht intensivmedizinischer Maßnahmen darstellen. So wird eine „fortgeschrittene Nierenerkrankung“ als ein Kriterium aufgeführt, welches die Prognose mindert.

Es ist nicht richtig – und, wie wir seit dem 28.12.2021 wissen, auch nicht rechtens, Menschen aufgrund einer Komorbidität, einer Behinderung oder des Alters von der intensivmedizinischen Behandlung auszuschließen. Auch die Leitlinie hebt hervor, dass eine Triagierung „aufgrund des kalendarischen Alters, aufgrund sozialer Merkmale oder aufgrund bestimmter Grunderkrankungen oder Behinderungen und auch aufgrund des SARS-CoV-2-Impfstatus“ nicht zulässig sei. Dennoch wird unter anderem eine fortgeschrittene Nierenerkrankung als Grundlage für eine ggf. notwendige Priorisierung aufgelistet.

Das Kriterium „fortgeschrittene Nierenerkrankung“ wird dabei in der Leitlinie nicht weiter definiert. Im Bereich der chronischen Nierenkrankheiten würde man per se von einer „fortgeschrittenen Krankheit“ sprechen, wenn die Nierenfunktion unter die Hälfte gesunken ist. Bekannt ist aber, dass es beispielsweise viele Menschen gibt, die von Geburt an nur eine Niere haben, dennoch ihr ganzes Leben lang bis ins hohe Alter gut mit der Hälfte der Nierenfunktion leben, ohne auf ein Nierenersatzverfahren angewiesen zu sein. Mit dem Kriterium „fortgeschrittene Nierenerkrankung“ könnten diese Patientinnen/Patienten ggf. einer Priorisierung zum Opfer fallen.

Eine fortgeschrittene Nierenerkrankung ist teilweise eine Komorbidität, die rein statistisch mit einer erhöhten Sterblichkeit einhergeht. Aber dennoch gibt es zahlreiche Patientinnen/Patienten mit weit fortgeschrittener Nierenerkrankung, die mit Hilfe einer Nierenersatztherapie jahrzehntelang sehr gut leben.

Zusammenfassend sprechen sich die DGfN und der BN dafür aus, die Triage bei nierenkranken Menschen immer im Mehraugen-Prinzip unter Einbeziehung einer Nephrologin/eines Nephrologen und ausschließlich anhand der individuellen Anamnese und Prognose der Betroffenen vorzunehmen. Nierenkranken sollten keinesfalls per se die Zuteilung intensivmedizinischer Maßnahmen verwehrt werden.

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