Apheresetherapie bei Patientinnen und Patienten mit Long-/Post-COVID-Syndrom

: Stellungnahme der Kommission Apherese der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie.

Der akuten COVID-19-Erkrankung kann sich nach vier Wochen das Long-COVID-Syndrom anschließen, definiert als fortwährend symptomatische COVID-19-Infektion bis Woche 12. Halten die Symptome über die Ausschlussdiagnose hinaus an oder treten Symptome neu ab Woche 12 auf, spricht man von Post-COVID [4].

Nach Häufigkeit sind die meist über Monate andauernden Kardinalsymptome jeweils wie folgt aufgelistet: Fatigue, belastungsabhängige Luftnot, kognitive Störungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Myalgien und Neuropathien mit der Folge, den alltäglichen Herausforderungen nicht mehr gewachsen zu sein. Studien schätzen, dass etwa zehn Prozent der Betroffenen nach einer SARS-CoV-2-Infektion unter dem Long-COVID-Syndrom leiden. Für Deutschland, mit mittlerweile mehr als 26 Millionen nachweislich an einer SARS-CoV-2-Infektion Erkrankten [7], hieße das deutlich mehr als zwei Millionen Betroffene [4]. Die Symptome beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen bis hin zu Pflegebedürftigkeit und Frühberentung, und sie sind nicht durch andere Diagnosen erklärbar. Patientinnen und Patienten mit Long-/Post-COVID-Syndrom müssen sehr genau untersucht, charakterisiert und graduiert werden. Die Pathophysiologie ist unklar, bisher ist eine einheitliche rationale Diagnostik z.B. aus Laboruntersuchungen nicht etabliert. Dem zu Folge gibt es keine gesicherte Therapie für das Long-/Post-COVID-Syndrom. In wenigen Fällen kann eine ähnliche Symptomatik auch nach einer COVID-19-Impfung auftreten (Post-Vac-Syndrom) [2]. Bei sehr dünner Datenlage erscheint das Risiko nach Impfung deutlich geringer als nach einer Infektion.

Das Long-/Post-COVID-Syndrom kann klinische Ähnlichkeiten mit der myalgischen Enzephelomyelitis Chronic Fatigue Syndrom (ME-CFS), bei der eine virale und autoimmune Pathogenese vermutet wird, haben [1, 3].  Bei beiden Erkrankungen wird spekuliert, dass Neurotransmitter-Rezeptorantikörper, insbesondere gegen beta-adrenerge- und muskarinische Rezeptoren eine wesentliche pathophysiologische Rolle spielen. Eine Reduktion dieser Antikörper könnte somit eine therapeutische Option für das Long-/Post-COVID-Syndrom sein. Unkontrollierte Fallstudien zeigen, dass eine Immunadsorption bei Patientinnen und Patienten mit ME/CFS die Antikörper gegen Neurotransmitterrezeptoren und inflammatorische Proteine reduziert und diese Therapie zu einer Besserung der Symptome führt [6].

Immunadsorption und Plasmapherese werden bei einer Reihe von Autoimmunerkrankungen erfolgreich eingesetzt. Diese Verfahren werden daher im Sinne eines pathophysiologisch begründeten Therapieversuchs als Optionen für schwere Fälle für das Long-/Post-COVID-Syndrom vorgeschlagen; so wird in der kürzlich publizierten interdisziplinären S1-Leitlinie zur Therapie des Long-/Post-COVID-Syndroms unter anderem empfohlen, dass bei Hinweisen auf eine autoimmune neurologische Manifestation mit Autoantikörpernachweis eine Gabe von intravenösen Immunglobulinen, Kortikoiden oder Plasmapherese erfolgen sollte [4]. In schweren Fällen von Long-/Post-COVID kann daher als Ultima Ratio eine Plasmapherese oder Immunadsorption erwogen werden [3].

Aktuell werden diese Therapien auf Selbstzahlerbasis von einer Reihe von Zentren, auch aus dem Bereich verfahrensfremder Fachbereiche wie der Naturheilkunde angeboten. Die DGfN begrüßt unbedingt alle Aktivitäten, die vereinzelten Daten zur Apheresetherapie bei Patientinnen und Patienten mit Long-/Post-COVID-Syndrom in ein Register einzupflegen. Die DGfN fordert randomisierte, kontrollierte Studien über den Nutzen einer Apheresetherapie bei diesen Patientinnen und Patienten. Bevor keine wissenschaftliche Datenlage den Benefit gezeigt hat, kann keine generelle Empfehlung für diese Therapie ausgesprochen werden.

Eine erste Fallserie soll zeitnah publiziert werden. Bei den positiven Einzelfallberichten können Störvariablen und diverse Bias nicht ausgeschlossen werden. Die Berichte sind aber ausreichend motivierend, um kontrollierte Studien in sehr gut definierten Settings von Long-COVID-Ambulanzen zu rechtfertigen. So könnten auch Hinweise für eine rationale Diagnostik und die pathophysiologischen Grundlagen gewonnen werden.

Sollte der Nutzen gezeigt werden können, könnte diese Therapie in Therapiealgorithmen Eingang finden und mit den Krankenkassen bezüglich der Kostenübernahme verhandelt werden. Die Durchführung der extrakorporalen Therapien muss sich nach einem G-BA-Beschluss richten und darf nur von erfahrenem und qualifiziertem ärztlichem und pflegerischem Personal durchgeführt werden.

Autoren: Kommission Apherese der DGfN, Leiter der Kommission: Prof. Dr. Volker Schettler

gez.
Prof. Dr. H. Pavenstädt
Präsident der DGfN e. V.       

Zitierte Literatur, alphabetisch nach Erstautor

[1] Castanares-Zapatero D, Chalon P, Kohn L, Dauvrin M, Detollenaere J, Maertens de Noordhout C,  Primus-de Jong C, Clemput I, Van den Heede K. Pathophysiology and mechanism of long COVID: a comprehensive review. Ann Med 2022;54:1473-1487.

[2] Chen Y, Xu Z, Wang P, Li XM, Shuai ZW, Ye DQ, Pan HF. New-onset autoimmune phenomena post-COVID-19 vaccination. Immunology. 2022 Apr;165(4):386-401. doi: 10.1111/imm.13443. Epub 2022 Jan 7. PMID: 34957554.

[3] Dotan A, David P, Arnheim D, Shoenfeld Y. The autonomic aspects of the post-COVID19 syndrome. Autoimmun Rev 2022;21:103071.

[4] Koczulla  AR, Ankermann T, Behrends U, Berlit P, Böing S, Brinkmann F, Franke C, Glöckl R, Gogoll C, Hummel T, Kronsbein J, Maibaum T, Peters EMJ, Pfeifer M, Platz T, Pletz M, Pongratz G, Powitz F, Rabe KF, Scheibenbogen C, Stallmach A, Stegbauer M, Wagner HO, Waller C, Wirtz H, Zeiher A, Zwick R. S1-Leitlinie Post-Covid/Long/Covid. AWMF Register Nr. 020/027; https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-027l_S1_Post_COVID_Long_COVID_2021-07.pdf

[5] Morrow AK, Malone LA, Kokorelis C, Petracek LS, Eastin EF, Lobner KL, Neuendorff L, Rowe PC. Long-term COVID 19 sequelae in adolescents: the overlap with orthostatic intolerance and ME/CFS. Curr Ped Rep 2022;March 9 epub:1-14.

[6] Scheibenbogen C, Loebel M, Freitag H, Krueger A, Bauer S, Antelmann M, Doehner W, Scherbakov N, Heidecke H, Reinke P, Volk HD, Grabowski P. Immunoadsorption to remove ß2 adrenergic receptor antibodies in chronic fatigue syndrome / myalgic encephalomyelitis. PLoS ONE 13(3):e0193672.

[7] Statistisches Bundesamt. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1102667/umfrage/erkrankungs-und-todesfaelle-aufgrund-des-coronavirus-in-deutschland

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