Apheresetherapie bei Patientinnen und Patienten mit Long-/Post-COVID-Syndrom (aktualisiert)

: Aktualisierte Stellungnahme der Kommission Apherese der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie.

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Nach einer akuten COVID-19-Infektion können die Beschwerden persistieren. Beschwerden über mehr als vier Wochen nach der Infektion werden als postakutes COVID-19- bzw. anhaltendes symptomatisches COVID-19 Syndrom beschrieben. Über mehr als 12 Wochen bestehende Beschwerden werden als Post-COVID-19-Syndrom bezeichnet. Der Begriff Long-COVID schließt beide Zeiträume ein, so dass im weiter folgenden Text nur noch von Long-COVID geschrieben wird. Alternative Ursachen der Symptome sollten ausgeschlossen werden, bevor ein Long-COVID-Syndrom diagnostiziert wird. Die WHO gibt zusätzlich an, dass die Beschwerden über mindestens 2 Monate persistieren [6].

Nach Häufigkeit sind die meist über Monate andauernden Kardinalsymptome jeweils wie folgt aufgelistet: Fatigue (starke Erschöpfung), belastungsabhängige Luftnot, Hirnleistungsstörungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Muskelbeschwerden und Neuropathien (Störungen der Nervenfunktion) mit der Folge, den alltäglichen Herausforderungen nicht mehr gewachsen zu sein. Studien schätzen, dass etwa 10-20 % der Betroffenen nach einer SARS-CoV-2-Infektion unter dem Long-COVID-Syndrom leiden. Für Deutschland, mit mittlerweile mehr als 26 Millionen nachweislich an einer SARS-CoV-2-Infektion Erkrankten [8], hieße das deutlich mehr als zwei bis vier Millionen Betroffene [4]. Die Symptome beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen bis hin zu Pflegebedürftigkeit und Frühberentung und sind nicht durch andere Diagnosen erklärbar. Patientinnen und Patienten mit Long-COVID-Syndrom müssen sehr genau untersucht, charakterisiert und graduiert werden. Die Ursachen sind ungeklärt. Bisher ist eine einheitliche rationale Diagnostik z.B. durch Laboruntersuchungen nicht etabliert. Dem zu Folge gibt es keine gesicherte Therapie für das Long-COVID-Syndrom. In wenigen Fällen kann eine ähnliche Symptomatik auch nach einer COVID-19-Impfung auftreten (Post-Vac-Syndrom) [2]. Bei sehr dünner Datenlage erscheint das Risiko nach Impfung deutlich geringer als nach einer Infektion.

Das Long-COVID-Syndrom kann in seiner Präsentation Ähnlichkeiten mit dem Myalgischen Enzephelomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS), bei dem eine virale und autoimmune Pathogenese vermutet wird, haben [1, 3]. Bei beiden Erkrankungen wurden Antikörper (Abwehreiweiße) nachgewiesen, die an Rezeptoren auf körpereigenen Zellen binden können und möglicherweise wichtige Aspekte dieser Krankheitsbilder vermitteln. Eine Reduktion dieser Antikörper könnte somit eine therapeutische Option für das Long-COVID-Syndrom darstellen. Unkontrollierte Fallstudien zeigen, dass eine Immunadsorption bei Patientinnen und Patienten mit ME/CFS mutmaßlich Antikörper gegen Neurotransmitterrezeptoren reduziert und diese Therapie zu einer Besserung der Symptome führt [7].

Plasmaaustausch und Immunadsorption werden bei einer Reihe von Autoimmunerkrankungen erfolgreich eingesetzt. Beides sind maschinelle Blutreinigungsverfahren, welche mehr (Immunadsorption) oder weniger (Plasmaaustausch) gezielt Antikörper aus dem Blut beseitigen. Auf dieser Basis könnte daher die Grundlage für einen Therapieversuch in sehr schweren Fällen des Long-COVID-Syndroms, insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit Long-COVID und Antikörpernachweis, entstehen [3,4]. Derzeit sind aber weder die Bedeutung der Antikörper noch die Wirksamkeit dieser Verfahren in diesem Zusammenhang wissenschaftlich bewiesen und kommen somit als Therapieverfahren zurzeit nicht in Frage.

Auch für den Einsatz von Lipoproteinaphereseverfahren, welche zur Behandlung schwerer Fettstoffwechselstörungen in Deutschland zugelassen sind, gibt es ebenfalls in diesem Zusammenhang keine wissenschaftliche Basis.

Aktuell werden verzweifelten Patienten die oben genannten Therapieverfahren auf Selbstzahlerbasis von einer Reihe von Zentren, auch aus dem Bereich verfahrensfremder Fachbereiche wie der Naturheilkunde, z.T. mit primär kommerziell getriebenen Interessen angeboten. Die DGfN lehnt dieses Vorgehen ab.

Wir begrüßen unbedingt alle Aktivitäten, die auf ein wissenschaftlich gestütztes, systematisches Vorgehen im Umgang mit Plasmapherese, Immunadsorption und Lipoproteinaphereseverfahren bei Patientinnen und Patienten mit Long-COVID-Syndrom abzielen und entsprechende Daten in ein Register einbringen. Die DGfN fordert randomisierte, kontrollierte Studien zum Nutzen dieser Verfahren bei diesen Patientinnen und Patienten. Ohne fundierte wissenschaftliche Daten kann keine Empfehlung für die Durchführung diese Therapieverfahren ausgesprochen werden, auch da es bei ihrer unsachgemäßen Anwendung zu schweren Komplikationen kommen kann. Daher sollten diese maschinellen Therapien ausschließlich von dafür ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten mit nachgewiesener Erfahrung durchgeführt werden. Die gleiche Qualität und Sicherheit muss auch für Leistungen auf Selbstzahlerbasis gelten.

Eine erste Fallserie zu den Effekten von Plasmapherese und Immunadsorption wird demnächst publiziert. Bei den bisher verfügbaren (auch positiven) Einzelfallberichten können Störvariablen nicht ausgeschlossen werden. Diese Berichte sind aber ausreichend motivierend, um kontrollierte Studien in Zusammenarbeit von Long-COVID-Ambulanzen und etablierten Apheresezentren zu rechtfertigen. So könnten auch Hinweise für eine rationale Diagnostik und die pathophysiologischen Grundlagen gewonnen werden.

Sollte der Nutzen gezeigt werden, könnten diese Therapien in das Behandlungsschemata Eingang finden und mit den Krankenkassen bezüglich der Kostenübernahme verhandelt werden. Die Durchführung der extrakorporalen Therapien muss sich nach einem G-BA-Beschluss richten und darf nur von erfahrenem und qualifiziertem ärztlichem und pflegerischem Personal durchgeführt werden.

Autoren: Kommission Apherese der DGfN, Leiter der Kommission: Prof. Dr. Volker Schettler

gez.
Prof. Dr. H. Pavenstädt
Präsident der DGfN e. V.       

Zitierte Literatur, alphabetisch nach Erstautor

[1] Castanares-Zapatero D, Chalon P, Kohn L, Dauvrin M, Detollenaere J, Maertens de Noordhout C,  Primus-de Jong C, Clemput I, Van den Heede K. Pathophysiology and mechanism of long COVID: a comprehensive review. Ann Med 2022;54:1473-1487.

[2] Chen Y, Xu Z, Wang P, Li XM, Shuai ZW, Ye DQ, Pan HF. New-onset autoimmune phenomena post-COVID-19 vaccination. Immunology. 2022 Apr;165(4):386-401. doi: 10.1111/imm.13443. Epub 2022 Jan 7. PMID: 34957554.

[3] Dotan A, David P, Arnheim D, Shoenfeld Y. The autonomic aspects of the post-COVID19 syndrome. Autoimmun Rev 2022;21:103071.

[4] Koczulla AR, Ankermann T, Behrends U, Berlit P, Böing S, Brinkmann F, Franke C, Glöckl R, Gogoll C, Hummel T, Kronsbein J, Maibaum T, Peters EMJ, Pfeifer M, Platz T, Pletz M, Pongratz G, Powitz F, Rabe KF, Scheibenbogen C, Stallmach A, Stegbauer M, Wagner HO, Waller C, Wirtz H, Zeiher A, Zwick R. S1-Leitlinie Post-Covid/Long/Covid. AWMF Register Nr. 020/027; https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-027l_S1_Post_COVID_Long_COVID_2021-07.pdf

[5] Morrow AK, Malone LA, Kokorelis C, Petracek LS, Eastin EF, Lobner KL, Neuendorff L, Rowe PC. Long-term COVID 19 sequelae in adolescents: the overlap with orthostatic intolerance and ME/CFS. Curr Ped Rep 2022;March 9 epub:1-14.

[6] Pink I, Welte P. Häufigkeit, Spektrum und Risikofaktoren von Long-COVID. Innere Medizin 63:813-818, 2022

[7] Scheibenbogen C, Loebel M, Freitag H, Krueger A, Bauer S, Antelmann M, Doehner W, Scherbakov N, Heidecke H, Reinke P, Volk HD, Grabowski P. Immunoadsorption to remove ß2 adrenergic receptor antibodies in chronic fatigue syndrome / myalgic encephalomyelitis. PLoS ONE 13(3):e0193672.

[8] Statistisches Bundesamt. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1102667/umfrage/erkrankungs-und-todesfaelle-aufgrund-des-coronavirus-in-deutschland

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