Stellungnahme zur Cross-over-Lebendnierenspende

: Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) spricht sich für Cross-over- und altruistische Lebendnierenspenden aus, setzt sich aber auch für die Erweiterung der postmortalen Spende ein.

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In der Transplantationsmedizin ist der Mangel an Organspenden eklatant. Die Dialysetherapie ermöglicht Betroffenen das Überleben, sollte aber bestenfalls als „Brückentechnologie“ betrachtet werden. Sie ist mit einer höheren Sterblichkeit, hohen Kosten und einer schlechteren CO2-Bilanz verbunden. Trotz spendebereiter Angehöriger oder Partnerinnen/Partnern können viele Lebendnierenspenden aufgrund immunologischer Barrieren nicht realisiert werden, was durch einen „Ringtausch“, sog. Überkreuzspende, umgangen werden könnte. Vielen Paaren könnte damit die gewünschte Spende ermöglicht werden. Altruistische Spenden könnten zudem die Zahl der zur Verfügung stehenden Spendernieren zusätzlich erweitern. Viele nierenkranke Menschen, die auf eine Spenderniere warten, würden von einer solchen Erweiterung der Organspende profitieren. Auch wenn die DGfN die vorgeschlagenen Maßnahmen grundsätzlich befürwortet, müssen darüber hinaus auch Maßnahmen zur Stärkung der postmortalen Spende ergriffen werden.

Mehr als 10% der Bevölkerung haben eine chronische Nierenerkrankung. Nierenfunktionseinschränkungen sind mit gefährlichen Auswirkungen auf viele Organsysteme und einer stark erhöhten Sterblichkeit verbunden. Ca. 100.000 Menschen in Deutschland müssen wegen einer chronischen Nierenerkrankung mit einem Nierenersatzverfahren (Dialyse oder Transplantation) behandelt werden und leiden unter dem eklatanten Mangel an Spenderorganen. Viele Dialysepatienten warten jahrelang auf eine Spenderniere, viele verlieren während der Zeit an der Dialyse ihre Transplantabilität aufgrund der zunehmenden Komorbidität. Die Nierentransplantation ist im Hinblick auf das Überleben und die Lebensqualität der Dialyse überlegen und gilt medizinisch als beste Therapieoption. Zudem haben Nierenkrankheiten eine hohe gesundheitsökonomische und ökologische Relevanz. Die Gesamtkosten der Behandlung von chronischen Nierenerkrankungen werden auf mehr als 24 Milliarden Euro geschätzt. Die chronische Dialyse führt neben hohen direkten Kosten zu außergewöhnlich hohen CO2-Emissionen von 5–10 Tonnen pro Patientin/Patient und Jahr.

Zur Verbesserung der Situation nierenkranker Patientinnen und Patienten und, um die ökologische und ökonomische Last zu reduzieren, sollte die Lebendspende ausgeweitet werden.

Die Anzahl der Nierentransplantationen ist aufgrund des Organmangels stetig zurückgegangen. Für viele Betroffene stellt die Lebendnierenspende die einzige Option dar, zeitnah eine neue Niere zu erhalten. Doch auch wenn Spenderinnen und Spender in ausreichendem Maße bereitstünden, kann häufig aufgrund immunologischer Barrieren nicht transplantiert werden. Etwa ein Drittel aller potentiellen Lebendspenderinnen und Lebenspender weisen eine immunologische Inkompatibilität auf. Um mehr Patientinnen und Patienten eine Nierentransplantation zu ermöglichen, sollten Optionen zur Lebendnierenspende auf Basis zeitgerechter ethischer Grundsätze geschaffen werden.

Die DGfN setzt sich neben der Einführung der Widerspruchslösung zur Steigerung der postmortalen Organspende auch für die Schaffung der Option einer sogenannten ‚Cross-over-Spende‘ ein. Dabei tauschen zwei verwandte Lebendnierenspenderpaare ihre untereinander inkompatiblen Spenderorgane einvernehmlich aus und ermöglichen so eine kompatible Nierentransplantation zwischen den nicht verwandten Partnern. Die Cross-over-Spende ist in Deutschland im Transplantationsgesetz nicht vorgesehen, allerdings über den Umweg des Aufbaus einer emotionalen Bindung zwischen den Paaren im Einzelfall möglich. Dieser Umweg ist umständlich, hinderlich und unseres Erachtens unnötig

‚Cross-Over-Spenden‘ bieten eine Möglichkeit, trotz immunologischer Inkompatibilität zwischen Empfängerinnen/Empfänger und Spenderinnen/Spender eine Lebendnierentransplantation durchzuführen. Organe von spendewilligen Angehörigen oder Lebenspartnerinnen/-partnern könnten so unter Überwindung biologischer Limitationen zur Transplantation genutzt werden, wovon alle Beteiligten profitieren würden.

Auch eine Erweiterung der Überkreuz-Spende auf mehrere Paare ist sinnvoll, um mehr Menschen die Notwendigkeit einer lebenslangen chronischen Dialysetherapie zu ersparen. Dabei werden nicht nur zwei, sondern gleich mehrere Paare für eine Spende evaluiert und so miteinander „gematcht“, dass jedes Paar eine Niere spendet und die nierenkranke Partnerin/nierenkranker Partner eine immunologisch passende Spenderniere erhält (‚Kettenspende‘). Das zu bewerkstelligen, ist anspruchsvoll, lässt sich aber umsetzen:  Entsprechende erfolgreiche Austauschprogramme existieren bereits in den Niederlanden, Großbritannien und Spanien. In Großbritannien existiert seit 2007 das Programm „NHS Blood and Transplant“, welches 23 Transplantationszentren sowie 20 Histokompatibilitätslabore verbindet. Es stellt mit ca. 300 registrierten potentiellen Spenderpaaren das größte Nierenaustauschprogramm in Europa dar. Im März 2019 fand dort die tausendste Cross-over Nierentransplantation statt.

Neben der Cross-Over-Spende und der oben skizzierten Erweiterung des Cross-Over-Modells („Ketten-Spende“) befürwortet die DGfN auch die altruistische Lebendnierenspende. Hierbei verschenken Menschen eine gesunde Niere ohne eine Gegenleistung. Von einer altruistisch gespendeten Spenderniere können Menschen profitieren, die keinen spenderwilligen Angehörigen oder Partnerin/Partner haben.

Die DGfN betont, dass auch im Fall von Cross-Over- oder altruistischer Nierenspende die autonome Entscheidung potentieller Spenderinnen und Spender durch ein entsprechendes Gremium überprüft werden muss, um zu evaluieren, ob die Betroffenen sich der längerfristigen Konsequenzen ihrer Entscheidung bewusst sind. Für spendefähige Menschen ist das gesundheitliche Risiko einer Nierenspende insgesamt als relativ gering zu betrachten.

Die DGfN setzt sich für eine Verbesserung der postmortalen Spende, u. a. durch Einführung der Widerspruchslösung, und für die Erweiterung der Lebendspende ein. Hierzu zählt die Schaffung der Option einer sogenannten ‚Cross-over-Spende‘.

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