Stellungnahme an die Bundesärztekammer zur geplanten Richtlinienänderung für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Nierentransplantation

: Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) e.V. zur geplanten Richtlinienänderung gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Nierentransplantation in Anlehnung an die bereits abgegebene Stellungnahme der DTG

Vielen Dank für die Einbindung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN).

Wir können dem vorgelegten Entwurf zur Änderung der Richtlinie zur Nierentransplantation nicht zustimmen, weil dieser nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnis entspricht.

Wir beziehen uns auf den folgenden neuen Absatz in der Richtlinie:

III.4.9 Maschinenperfusion Für Nieren von Spendern mit erweiterten Spenderkriterien ist für den Organtransport grundsätzlich ein hypothermes maschinengestütztes Organkonservierungsverfahren anzuwenden.

Erweiterte Spenderkriterien sind: – Spenderalter ≥ 60 Jahre – Spenderalter 50 - 59 Jahre und zusätzliches Vorliegen von mindestens 2 der folgenden Kriterien: a. zerebrovaskuläre Todesursache, b. arterieller Hypertonus, c. Serum Kreatinin ≥ 1,5 mg/dl (bzw. ≥ 132 μmol/l).

Die DGfN kann aus der vorhandenen wissenschaftlichen Evidenz die Voraussetzungen zu der im Richtlinientext geplanten Änderung als Grundlage der Einführung einer Maschinenperfusion nach Entnahme von postmortalen Spendernieren" st … grundsätzlich… anzuwenden" nicht ableiten. Aus den publizierten Daten aus den Niederlanden (Brat A et al Transplantation 2022) zum routinemäßigen Einsatz der hypothermen Maschinenperfusion ergibt sich, dass die Anwendung der Maschinenperfusion sicher ist. Ein Vorteil in Bezug auf die sogenannte delayed graft function (DGF = verzögerte Funktionsaufnahme der Spenderniere) besteht zudem im Wesentlichen bei DCD (donation after circulatory death) Nieren, die in Deutschland aktuell nicht entnommen bzw. transplantiert werden dürfen. Die DGF Raten bei DBD (donation after brain death) Nieren waren im Vergleich zur historischen Kontrolle gleich. Die kalte Ischämiezeit war weiterhin ein unabhängiger Risikofaktor für DGF. Das Transplantatüberleben und die Nierenfunktion im Verlauf wurde durch die Maschinenperfusion nicht verbessert.

Auch aus Sicht der DGfN e. V. kann aus den im Richtlinienentwurf zitierten Publikationen nicht abgeleitet werden, dass Organe von Spendern mit erweiterten Spenderkriterien grundsätzlich maschinengestützt perfundiert werden müssen. Ebenso wenig kann aus den Studien abgeleitet werden, dass Organe von Spendern ohne erweiterte Spenderkriterien grundsätzlich nicht maschinengestützt perfundiert werden sollten.

Daher sollte eine "Kann-Empfehlung" gegeben werden und die wissenschaftliche Begleitung der Einführung der Maschinenperfusion in Deutschland, in Form einer randomisierten Studie, zudem aber in Form eines Registers mit Erfassung aller Patienten nach postmortaler Nierentransplantation erfolgen.

Begründung zur Stellungnahme:

Ein Teil der im Richtlinienentwurf angeführten Studien wurde bereits vor mehr als 20 Jahren durchgeführt und entspricht in Bezug auf die aktuelle Immunsuppression nicht mehr den heutigen Standards (z. B. Moers C et al NEJM 2009 wurde 2005-2006 durchgeführt, > 50% der Patienten erhielten Cyclosporin, die kalte Ischämiezeit betrug im Mittel 15 h) und wiesen offensichtliche methodische Schwächen auf (z. B. Moers et al. NEJM 2009 mit u. a. Änderung des Allokationsverfahrens für 25 (!) Nierentransplantationen im Rahmen der Studie wegen aberrierender Gefäßanatomie von der Maschinenperfusion zur statischen kalten Lagerung und Ausschluss von 7 Nierentransplantationen wegen technischem Versagens der Maschinenperfusion; bezüglich dieser Fragen wurde von den Autoren, trotz Nachfrage mehrerer Gremien, wie ETKAC (Eurotransplant Kidney Advisory Committee) und AG Richtlinie Niere der Bundesärztekammer mit der Bitte um Vorlage ergänzender Analysen (z. B. ITT, Ausschluss der Nierentransplantationen mit geänderter Allokation von der Analyse), wurde keine weitere Analyse vorgelegt.

Eine kürzlich hochrangig publizierte große Studie (Husen P et al JAMA Surg 2022) zur präoperativen, oxygenierten, hypothermen Perfusion (im Mittel 4,7 h Perfusionsdauer) vor Implantation einer extended-donor Niere zeigte keine Vorteile in Bezug auf harte Endpunkte (Nierenfunktion, Rejektionen, Transplantatüberleben) gegenüber statischer kalter Lagerung, und auch keinen Unterschied in der DGF-Rate. Die enttäuschenden Ergebnisse führen die Autoren auf die insgesamt deutlich besseren Ergebnisse, und das im Vergleich zu früheren Studien deutlich bessere Transplantatüberleben zurück. Im Interventionsarm wurden signifikant mehr Todesfälle beobachtet, die von den Autoren nicht mit der Intervention in Zusammenhang gebracht werden.

Eine aktuelle Metaanalyse mit Studien von 2010 bis 2022 (Ghoneima AS et al Journal Clin Med. 2023) und die Erfahrungen aus den Niederlanden (Brat A et al Transplantation 2022) bestätigen die erste Metaanalyse von 2019 (Tingle SJ et al Cochrane review 2019) in Bezug auf eine Reduktion der Delayed Graft Function (DGF definiert als mind. 1 Dialyse in der ersten Woche nach Transplantation). Allerdings zeigen weder die Metaanalysen noch die aktuellen niederländischen Erfahrungen eine Verbesserung harter Endpunkte wie Nierenfunktion, Rejektionen, Transplantatversagen oder Tod.

Die Relevanz und Definition des Surrogatendpunktes DGF wird daher durchaus kontrovers diskutiert (siehe Schröppel B & Legendre C, Kidney International 2014; Collins M & Chadban S; Transplantation 2023). Es existieren mehr als 18 verschiedene Definitionen für DGF und die fehlerhafte Zuordnung multipler potentieller Ursachen (z. B. Entnahmetechnik, Transportzeit, Anästhesiemanagement, Hypotension, Volumenüberladung, Art der perioperativen Flüssigkeitsgabe, operative Probleme, Hyperkaliämie, Restfunktion, postoperatives Management, Rejektion, Empfängerfaktoren wie Übergewicht und PRA etc.), die zu einer Dialyse in der ersten Woche führen können, zeigen die Schwächen der gebräuchlichsten DGF Definition auf. Dies könnte eine Erklärung für den fehlenden Zusammenhang der Reduktion von DGF mit der Verbesserung harter klinischer Endpunkte bei der Maschinenperfusion darstellen.

Auch eine kürzlich publizierte Studie zur Verwendung intraoperativer Flüssigkeitslösungen (Kristalloide vs. NaCl) zeigte bei 808 Patienten eine deutliche, hochsignifikante Reduktion der DGF Rate (30 % vs 40 % mit einer Dialyse in der ersten Woche), jedoch keine Verbesserung anderer klinisch relevanter Parameter wie Nierenfunktion, Rejektionen, Hospitalisierungsdauer oder Transplantatversagen (Collins MG et al Lancet 2023).

Eine weitere aktuelle 3-armige randomisierte Studie aus den USA hat 1349 Nieren von 725 Spendern einer Spenderhypothermie-Gruppe (n = 359), die nach Interimsanalyse vorzeitig gestoppt wurde und einer Maschinenperfusion-Gruppe (n = 511) und einer Kombinations- Gruppe (n = 479) zugeteilt (Malinoski D et al NEJM 2023). Obwohl die DGFRate (ebenfalls definiert als eine Dialyse innerhalb der ersten Woche) mit einer Risk Ratio von 1,72 (Spenderhypothermie vs Maschinenperfusion) bzw. 1,57 (Spenderhypothermie vs Kombinationstherapie) signifikant höher in der Spenderhypothermie-Gruppe war, fand sich eine numerisch, jedoch nicht signifikant niedrigere Risk Ratio von 0,74 bzw. 0,91 für ein Transplantatversagen nach einem Jahr (Malinoski D et al NEJM 2023). Die Einjahresmortalität betrug im Hypothermiearm 2 % und in den beiden anderen Armen jeweils 4 % was zumindest im Trend den Ergebnissen der Studie von Husen et al. entspricht (Malinoski D et al NEJM 2023).

Die kritische Sicht auf DGF als potentiellen Surrogatendpunkt, der mit dem Langzeitüberleben assoziiert ist, wird durch Analyse gepaarter Nieren unterstützt, bei dem ein Empfänger ein DGF entwickelte und der andere nicht (Kayler LK et al. AJT 2011a und AJT 2011b). In diesen Analysen wurde in beiden Gruppen ein ähnliches Langzeitüberleben beobachtet, unabhängig von DGF. Auch Daten aus der Charité (Schrezenmeier E et al NDT 2022) zeigen, dass eine singuläre Dialyse nicht mit dem Langzeitoutcome nach Nierentransplantation assoziiert ist und die Definition eines DGF (als mind. 1 Dialyse in der ersten Woche) überdacht werden sollte. In dieser Analyse war bei Standardnieren (KDPI <85%) nur ein DGF von > 14 Tagen mit dem Langzeitoutcome assoziiert, bei Nieren mit einem erhöhten KDPI (> 85%) war jedoch schon ein DGF von mehr als 2 Tagen mit einem schlechteren Transplantatüberleben assoziiert. Während die optimale Definition von DGF und der komplexe Zusammenhang zwischen DGF und Langzeitüberleben weiter untersucht werden muss, ist es jedoch unstrittig, dass Dialysen den unmittelbaren postoperativen Verlauf komplizieren und eine unmittelbare medizinische, psychologische und finanzielle Belastung darstellen.

Weiterhin muss bedacht werden, dass eine flächendeckende Umsetzung der Maschinenperfusion in Deutschland eine enorme logistische Herausforderung angesichts der bestehenden Strukturen darstellen würde, mit der Notwendigkeit der Schulung aller Entnahmechirurgen der DSO. Darüber hinaus müssen bei Einführung der Maschinenperfusion alle Transplantationszentren in der Lage sein, die Niere von der Maschine wieder abzubauen. Auch dies erfordert einen erheblichen Schulungsaufwand, da zu jeder Zeit mindestens ein Mitarbeiter im Transplantationszentrum verfügbar sein muss, der diese Technik beherrscht. Zudem gelingt es selbst unter Studienbedingungen aktuell nicht, die Maschinenperfusion flächendeckend zu realisieren (beschrieben sind Ausfallquoten von z.B. 269 von 989 Nieren (27%) aus Gründen der Spenderniere oder logistischen Gründen (Malinoski D et al NEJM 2023), 115 von 681 Nieren (17%) unter Einsatz von sogenannten „Perfusion Hubs“ (Brat A et al Transplantation 2022), 25 von 170 Nieren (15%) aus verschiedenen Gründen (Hosgood SA et al Nature Med 2023)).

Zusammenfassend halten wir daher weitere aktuelle wissenschaftliche Analysen für unsere Patienten in Deutschland vor allem in Hinblick auf harte Endpunkte (wie Abstoßungen, Hospitalisierungsdauer, Nierenfunktion, Transplantatüberleben und Kosteneffizienz, Lebensqualität) für unverzichtbar. Der optimale und damit kosteneffektivste Wissensgewinn kann nur durch prospektiv-randomisierte Studien erfolgen. Zur Finanzierung wäre beispielsweise ein gemeinsamer Antrag mit allen Krankenkassen von DTG, der DGfN, der Fachgesellschaften für Chirurgie und Urologie und weiterer Beteiligter beim Innovationsfonds des G-BA ein erfolgsversprechender Ansatz, insbesondere wenn alle Beteiligten den Antrag durch einen überzeugenden „Letter of Intention“ unterstützen. Die Erfassung aller Patienten in einem Register ist aus wissenschaftlicher und ökonomischer Sicht eine absolute zusätzliche Mindestanforderung, um die Effektivität und Kosteneffizienz im aktuellen deutschen Kontext mit langen Wartezeiten, aber im internationalen Vergleich recht kurzen Transportzeiten, zu evaluieren.

Da die optimale Perfusionstechnik (u.a. hypotherm, normotherm, mit oder ohne Sauerstoff, controlled rewarming, präoperativ) und Perfusionslösung aktuell Gegenstand von mehreren wissenschaftlichen Studien sind, sollte eine alleinige Festlegung auf hypotherme Verfahren vermieden werden und vielmehr Raum für neue innovative Studienprojekte gegeben werden.

Die DGfN hat damit folgenden Textvorschlag für eine Richtlinienänderung:

III.4.9 Maschinenperfusion

Für Nieren von postmortalen Spendern mit erweiterten Spenderkriterien(*) oder bei denen eine verlängerte Transportzeit erwartet wird oder bei denen ein akutes Nierenversagen besteht kann für den Organtransport ein hypothermes maschinengestütztes Organkonservierungsverfahren angewendet werden.

(*Erweiterte Spenderkriterien sind: – Spenderalter ≥ 60 Jahre – Spenderalter 50–59 Jahre und zusätzliches Vorliegen von mindestens 2 der folgenden Kriterien: a. zerebrovaskuläre Todesursache, b. arterieller Hypertonus, c. Serum Kreatinin ≥ 1,5 mg/dl (bzw. ≥ 132 μmol/l)) Zur Schaffung der notwendigen Evidenz muss die Einführung der Maschinenperfusion von einem Register begleitet werden und die Durchführung weiterer randomisierter Studien in Deutschland verpflichtend erfolgen.

Literatur:

Moers C, Smits JM, Maathuis MH, Treckmann J, van Gelder F, Napieralski BP, van Kasterop-Kutz M, van der Heide JJ, Squifflet JP, van Heurn E, Kirste GR, Rahmel A, Leuvenink HG, Paul A, Pirenne J, Ploeg RJ. Machine perfusion or cold storage in deceased-donor kidney transplantation. N Engl J Med. 2009 Jan 1;360(1):7-19. Brat A et al Transplantation 2022

Husen P, Boffa C, Jochmans I, Krikke C, Davies L, Mazilescu L, Brat A, Knight S, Wettstein D, Cseprekal O, Banga N, Bellini MI, Szabo L, Ablorsu E, Darius T, Quiroga I, Mourad M, Pratschke J, Papalois V, Mathe Z, Leuvenink HGD, Minor T, Pirenne J, Ploeg RJ, Paul A. Oxygenated End-Hypothermic Machine Perfusion in Expanded Criteria Donor Kidney Transplant: A Randomized Clinical Trial. JAMA Surg. 2021 Jun 1;156(6):517-525.

Ghoneima AS, Sousa Da Silva RX, Gosteli MA, Barlow AD, Kron P. Outcomes of Kidney Perfusion Techniques in Transplantation from Deceased Donors: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Clin Med. 2023 Jun 6;12(12):3871.

Tingle SJ, Figueiredo RS, Moir JA, Goodfellow M, Talbot D, Wilson CH. Machine perfusion preservation versus static cold storage for deceased donor kidney transplantation. Cochrane Database Syst Rev. 2019 Mar 15;3(3):CD011671.

Schröppel B, Legendre C. Delayed kidney graft function: from mechanism to translation. Kidney Int. 2014 Aug;86(2):251-8. Collins MG & Chadban SJ. Dealing With Delayed Graft Function. Transplantation 2023; Augustg 21, 2023. | DOI: 10.1097/TP.0000000000004764

Collins MG, Fahim MA, Pascoe EM, Hawley CM, Johnson DW, Varghese J, Hickey LE, Clayton PA, Dansie KB, McConnochie RC, Vergara LA, Kiriwandeniya C, Reidlinger D, Mount PF, Weinberg L, McArthur CJ, Coates PT, Endre ZH, Goodman D, Howard K, Howell M, Jamboti JS, Kanellis J, Laurence JM, Lim WH, McTaggart SJ, O'Connell PJ, Pilmore HL, Wong G, Chadban SJ; BEST-Fluids Investigators; Australasian Kidney Trials Network. Balanced crystalloid solution versus saline in deceased donor kidney transplantation (BEST-Fluids): a pragmatic, double-blind, randomised, controlled trial. Lancet. 2023 Jul 8;402(10396):105-117. Kayler LK, Srinivas TR, Schold JD. Influence of CIT-induced DGF on kidney transplant outcomes. Am J Transplant. 2011 Dec;11(12):2657-64.

Kayler LK, Magliocca J, Zendejas I, Srinivas TR, Schold JD. Impact of cold ischemia time on graft survival among ECD transplant recipients: a paired kidney analysis. Am J Transplant. 2011 Dec;11(12):2647-56.

Schrezenmeier E, Müller M, Friedersdorff F, Khadzhynov D, Halleck F, Staeck O, Dürr M, Zhang K, Eckardt KU, Budde K, Lehner LJ. Evaluation of severity of delayed graft function in kidney transplant recipients.Nephrol Dial Transplant. 2022 Apr 25;37(5):973-981.

Malinoski D, Saunders C, Swain S, Groat T, Wood PR, Reese J, Nelson R, Prinz J, Kinish K, Walker CVD, Geraghty PJ, Broglio K, Niemann CU. Hypothermia or machine perfusion in kidney donors. N Engl J Med 2023;388:418-426.

Hosgood SA, Callaghan CJWilson CH, Smith L, Mullings J, Mehew J, Oniscu GC, Phillips BL, Bates L, Nicholson ML. Nature Med 2023;29:1511-1519.

Zurück